Ein Leuchtturm im Ozean des Elends

Wie die Arche-Schule im Kariobangi-Slum in Kenia Kinderleben nachhaltig verändert

Wir stehen in einem winzigen, dunklen Raum, in der hintersten Ecke eines kleinen Compounds, zu dem von der staubigen Nebenstraße des Slums eine klapprige Blechtür führt. Die Kammer ist fast völlig ausgefüllt von einem Bett; auch ein kleiner Gaskocher hat noch Platz. Übers Bett und den schmutzigen Boden quer verteilt liegen Kleidungsstücke, leere Tüten, mal hier ein Heft und da ein Schuh.

Auf dem Bett sitzt Kiah*, blickt uns verwirrt an, als wir das Zimmer betreten. Ihr Jüngster hockt neben ihr und isst aus einer Plastiktüte; alle anderen sind in der Schule.

Geduldig stellt Bentina, die Schulleiterin, ein paar Fragen an die junge Mutter, erkundigt sich nach ihrem Ergehen, gibt einige Ratschläge. Sie weiß: Noch bis vor kurzem ging es Kiah und ihren Kindern viel schlechter. Da lebten sie noch auf der Straße, bis sich das Schulpersonal ihrer annahm und ihnen einen Wohnraum verschaffte.

Kiah leidet seit ihrer Kindheit an einer geistigen Behinderung. Deshalb landete sie auf der Straße, nahm Drogen. Es kam, wie es kommen musste: Sie wurde schwanger. Inzwischen hat sie vier Kinder; wer die Väter sind, weiß keiner.

Aber wer kümmert sich denn um die Kinder, nachdem die Mutter es offensichtlich selbst nicht kann?

„Wir kümmern uns“, antwortet Bentina schlicht. „In der Arche-Schule bekommen sie all ihre Mahlzeiten; wir schauen regelmäßig nach der Familie und sorgen für alles, was sie brauchen. Durch die Patenschaften ist auch ihr Schulgeld gedeckt.“

Und noch mehr bekommen Kiahs Kinder hier: Liebe und Fürsorge. Zeit und ein offenes Ohr. Wertschätzung und Respekt. Für sie ist die Arche-Schule ihr Zuhause.

Seit 25 Jahren ein „Leuchtturm“

Und sie sind nicht die einzigen, auf die das zutrifft! Im letzten Vierteljahrhundert hat die Arche-Schule im Kariobangi-Slum in Kenia hunderte von Kinderleben nachhaltig verändert. Das liegt nicht zuletzt an der Vision von Bentina und Bernard, dem leitenden Ehepaar, und dem großartigen Kollegium an der Schule. Auch die Community selbst hat ihren Teil dazu beigetragen, dass die Arche-Schule zu einem Leuchtturm im Ozean des Elends geworden ist.

Vor 25 Jahren waren Bentina und Bernard in Kibera, dem gigantischen Elendsviertel am Rande Nairobis, tätig, als sie gebeten wurden, in Kariobangi Kurse für Erwachsenenbildung anzubieten. Schon nach kurzer Zeit sagten die Männer und Frauen in den Kursen: „Wir kommen hierher um zu lernen, aber unsere Kinder sitzen zuhause und lernen nichts. Könnt ihr nicht vormittags unsere Kinder unterrichten, und uns nur abends?“

So begann 1999 auf Bitte der Familien die Arche-Schule – und bis heute sieht es die Community als „ihre Schule“ an, sorgt für Sicherheit trotz des gefährlichen Umfelds, löst religiöse Konflikte, engagiert sich in Gremien, hilft ehrenamtlich bei Renovierungsarbeiten, kümmert sich „um jedes Kind auf der Straße, das einen roten Arche-Pulli trägt“. Vom Kindergarten mit einer Handvoll Kindern wuchs die Arche über die Jahre zu einer vollen Schule mit mehreren Gebäuden und 450 Schülern bis zur 8. Klasse. Durch eine  kürzliche landesweite Umstellung des Schulsystems kann das bald bis zur 9. Klasse und einem Schulabschluss auf Niveau einer mittleren Reife ausgeweitet werden; derzeit wartet die Schule noch auf die endgültige Genehmigung für diesen Schritt.

Eine ganz besondere Atmosphäre

Die Eltern aus Kariobangi sind unglaublich dankbar, dass sie ihre Kinder an die Arche-Schule schicken können. Denn die zeichnet sich nicht nur durch eine gute Schulbildung aus, sondern eine so herzliche, respektvolle Atmosphäre, dass sie wahrlich wie ein Leuchtturm aus dem rauen Umfeld des Slums hervorsticht.

„In den öffentlichen Schulen werden die Kinder heute noch geschlagen und angeschrien“, erklärt Bentina. „Und wenn nicht, dann gibt es keinerlei Disziplin. An der Arche machen wir das anders – das lernt jeder neue Lehrer gleich als erstes. Und es funktioniert! Die Eltern sagen, dass die Arche Kinder viel besseres Benehmen haben als andere. Manchmal schicken die Behörden schwierige Kinder von anderen Schulen zu uns, weil sie sich hier am ehesten Erfolg versprechen.“

Wenn man in der Arche den Unterricht besucht, merkt man diese Atmosphäre sofort. Kein Lehrer muss die Stimme erheben, alle gehen geduldig und liebevoll auf die Schüler ein, trotz teils völlig überfüllten Klassenräumen. Aber die Kinder nutzen das nicht aus, sondern halten sich an – teilweise selbst aufgestellte – Regeln und danken den Lehrern durch Gehorsam und einer Disziplin, die auf gegenseitigem Respekt basiert. Auch untereinander achten die Kinder aufeinander, kümmern sich um solche, die im Unterricht nicht so gut mitkommen. Und wenn nachmittags die Schule aus ist, merkt man, dass die meisten Kinder lieber dableiben würden.

Investition in die Zukunft

„Die Arche hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin“ – immer wieder höre ich diesen Satz von Absolventen, von denen fast jeden Tag welche an der Schule vorbeikommen um Hallo zu sagen, oder auch, um ehrenamtlich in den Kindergartenklassen und der Bibliothek mitzuhelfen. Einer davon ist Shakur*.

Shakur ist heute 20 Jahre alt und hat vor einigen Jahren von der Arche absolviert und dann, dank eines Stipendiums, das die Arche für Highschooler organisiert, den offiziellen High School Schulabschluss geschafft. Jetzt wartet er auf die notwendigen Dokumente, um im September eine Berufsausbildung zu beginnen. Als er vorbeikommt und mal wieder im Büro seiner Schulleiterin sitzen darf, strahlt er übers ganze Gesicht – genau so, als ob er nach Hause gekommen ist und endlich seine Familie wiedersieht. Und Bentina heißt ihn wie einen lieben Sohn willkommen, hört ihm zu, ermutigt ihn.

„Das Leben da draußen ist nicht einfach“, gibt Shakur zu. „Alle Jungs in meinem Alter sind drogenabhängig, haben die Schule abgebrochen, die Mädels sind schwanger. Ich bin der einzige, der anders ist, der einzige, der einen Schulabschluss hat. Und ich bin so froh darüber!“

Voll Zuversicht strahlt er seine Schulleiterin an, dann blickt er kurz aus dem Fenster. „Ich vermisse die Arche. Einige meiner Geschwister sind noch hier. Ich möchte ein Vorbild für sie sein. Ich bin so dankbar für die Arche – die Arche hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin!“

Dorothea Gschwandtner

 

Dieser Bericht basiert auf einem Projektbesuch unserer Geschäftsführung im Februar 2024. Als Helping Hands e.V. unterstützen wir die Arche Schule seit mind. 15 Jahren; u.a. durch Einzelprojekte wie die Fertigstellung des derzeitigen Schulgebäudes mit Inventar, Lehrerausbildung, Hygienestationen u.v.m. Seit 2022 vermitteln wir Patenschaften für Kinder an der Arche-Schule, denn vor allem seit Corona können sich viele Familien nicht das gesamte Schulgeld leisten. Falls Sie eine Patenschaft für ein Arche-Kind übernehmen möchten, wählen Sie bitte auf dem Patenschafts-Formular „Afrika“.

Derzeit sind wir in Gesprächen mit der Schulleitung, um ein umfassenderes Angebot für Familien zu erarbeiten und durch Schulungen und Investition in Kleinstunternehmen die wirtschaftliche Lage der Familien nachhaltig zu verbessern. Dazu folgen in den nächsten Wochen noch weitere Informationen.

* Name zum Schutz der Privatsphäre geändert

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