Stundenlang sind wir durch den Dschungel gefahren, durch kleine emsige Städte, über breite staubige Flussbetten, durch die nur ein Rinnsal fließt, vorbei an Wäldern mit blühenden, herrlich duftenden Bäumen. Nachdem der Bus uns endlich ausgespuckt hat – an einer verlassenen Wegkreuzung mitten im Irgendwo – geht es noch per Auto-Rikscha ein Stück durch den Urwald. Als die ersten Gebäude auftauchen, sind wir auch schon da: in Piluwa, das hier wie ein abgelegenes Dorf aussieht, sich aber weiter südlich in eine größere Stadt ausweitet, und an unserem Kinderzentrum, vor dem etwa vierzig lachende, fröhliche Kinder erwartungsvoll nach den Besuchern Ausschau halten, die Hände voller Blüten und kleiner Sträuße, die sie als Willkommensgruß auf dem Schulweg selbst gepflückt haben. Denn so ein Besuch aus dem fernen Kathmandu, das ist doch immer mal etwas anderes als Alltag. Da machen die Aufgaben, bei denen die beiden Lehrer Hilfe leisten, gleich irgendwie mehr Spaß, und wenn man Glück hat, dann haben die Besucher eine tolle neue Spielidee dabei, oder vielleicht auch mal was gutes Süßes zum Naschen.
Letzteres haben wir zwar nicht, aber nachdem die Kinder nach den Aufgaben zum gemeinsamen Spielen in den Hof gestürmt sind, haben sie auch schon im Handumdrehen ein gutes altbewährtes paXan-Spiel gemeistert und sind mit Begeisterung dabei. Vierzig zufriedene, leuchtende Gesichter, die im Schein der untergehenden Sonne eine Hoffnung ausstrahlen, die für viele Morgen reicht. „Die Kinder lieben dieses Kinderzentrum“, erzählt uns ein örtlicher Leiter. „Sie kommen oft schon eine Stunde früher hierher, lange bevor das Programm anfängt, weil sie einfach lieber hier sind als woanders!“
Noch kein ganzes Jahr ist das Kinderzentrum in Piluwa alt – im Juni 2018 wurde es mit einer Einzelspende über Helping Hands e.V. begonnen. Die Kinder kommen aus den ca. 20 ärmsten Familien des Dorfes, die meisten aus ethnischen Randgruppen, und ihre Eltern arbeiten hart, um wenigstens ein bisschen zu verdienen: indem sie ein winziges Stück Land bewirtschaften oder auch als Tagelöhner anheuern – zum Beispiel beim Straßen- und Kanalbau oder im trockenen Flussbett, von wo sie Sand schleppen, damit Ziegel gebrannt werden können. Das Geld reicht nie – kaum für Lebensmittel, und schon gar nicht für „Luxusgüter“ wie Hefte, Stifte oder Schultasche. Im Kinderzentrum erhalten die etwa vierzig 5- bis 11-jährigen Kinder daher nicht nur Hausaufgabenhilfe, Talentförderung und Zeit zum gemeinsamen Spielen, sondern auch einen nahrhaften Snack und nötiges Schulmaterial. Schon in nur weniger als einem Jahr hat das Kinderzentrum einen sichtbaren Unterschied gemacht.
„Vorher haben die Kinder sich nachmittags nur auf der Straße rumgetrieben, aber jetzt kommen sie ganz regelmäßig zum Kinderzentrum“, berichten die beiden Lehrer. „Die Nachhilfe hat in den schulischen Leistungen schon eine Menge Wirkung gezeigt. Und die Eltern sind auch sehr dankbar, weil sie die Veränderung in ihren Kindern sehen können, und weil sie sich keine Sorgen machen brauchen, wo die Kinder sich herumtreiben, während die Eltern noch arbeiten müssen.“ Viele der Eltern sind selbst Analphabeten und könnten ihrem Nachwuchs die nötige akademische Unterstützung gar nicht bieten. Das Kinderzentrum gibt ihnen Hoffnung, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft erwartet als die eigene.
Aber Piluwa wäre ja kein Helping Hands Kinderzentrum, wenn die positiven Effekte nur in ferner Zukunft lägen oder sich ausschließlich in ein paar besseren Schulnoten widerspiegeln. Hier geht es darum, ein ganzes Dorf nachhaltig zu verändern! Und da gibt es für Piluwa eine große Vision.
Während die Kinder sich im Zentrum durch schulische und soziale Bildung eine gute Grundlage für späteren beruflichen Erfolg erarbeiten, wird zeitgleich auch ihr Zuhause Schritt für Schritt verwandelt. In Selbsthilfegruppen lernen und üben Mütter wirtschaftliche Prinzipien, Eltern besuchen Schulungen und gründen kleine Unternehmen. Familien erhalten Hühner, Ziegen und Büffel für Viehzucht; in Gemeinschaftsgärten werden nahrhafte Lebensmittel für Familien und Kinderzentrum angebaut. Das wird auf die Nachbarn ausgeweitet, Kooperativen werden gebildet, die schließlich das Management dieser und anderer Projekte übernehmen – zum Beispiel Zugang zu sauberem Wasser – und sich um die weitere Entwicklung ihres Dorfes kümmern: unabhängig, örtlich verantwortet, nachhaltig.
„Damit könnte das Kinderzentrum in Piluwa schon in wenigen Jahren finanziell selbsttragend sein“, meint der Leiter unseres Partners in Nepal. Ein utopisches Szenario, in Wirklichkeit nicht umsetzbar? Doch – denn weiter nördlich, in einem anderen Projekt unseres Partners, hat es schon geklappt, und nun ist Piluwa an der Reihe. Das verstehen wir unter wirkungsvoller Hilfe und nachhaltiger Veränderung!
An der Wand des Kinderzentrums in Piluwa ist ein Herz aufgeklebt, zusammengesetzt aus vielen einzelnen Herzen. Ein Herz für Kinder? Ein Herz für Piluwa? Vermutlich beides – aber es offenbart auch eine Realität: Veränderung entsteht nicht dadurch, dass ein Partner aus der Ferne eine To-Do-Liste schickt. Veränderung entsteht, wenn viele einzelne Herzen gemeinsam für die gleiche Sache schlagen – Kinder, Lehrer, Eltern, Nachbarn: die Heimat zu einem wirklich lebenswerten Ort zu machen und zusammen ein Morgen zu schaffen, auf das es sich zu hoffen lohnt.
© 2019 Dorothea Gschwandtner/Helping Hands e.V. Bitte diesen Bericht (auch nicht auszugsweise) nicht ohne schriftliche Genehmigung weiterverwenden.