Ein wichtiger Schritt zur langfristigen Heilung

Das Schechem-Home auf den Philippinen kümmert sich um Opfer von sexueller Ausbeutung

Das erste, was mir auffällt, als wir Amys* Familie besuchen, ist das strahlende Lächeln von Tala*, der zwölfjährigen Schwester.

Nicht der desolate Zustand der Bretterhütte, die Mutter, Schwester und kleiner Bruder ihr Zuhause nennen.

Nicht das karge Innere mit dem brüchigen Holzboden, im Dämmerlicht eine echte Stolperfalle.

Nicht die rostigen Nägel, die überall hervorstehen und die nackten Füße der Kinder bedrohen.

Auch nicht der stinkende Bach, neben dem die Hütte kauert; in der Trockenzeit gefährlich für Kleinkinder, in der Regenzeit eine Gefahr für alle – „sie leben im Bach“ beschreiben es die Sozialarbeiter, weil das Gewässer regelmäßig die Umgebung überschwemmt.

Nein: Das erste, was auffällt, als die Sozialarbeiter, eine Bekannte und ich Amys Familie besuchen, ist Talas strahlendes Lächeln. Und der fragende Blick auf dem Gesicht des zweijährigen Bruders. Und das hoffnungsvolle Leuchten in den Augen der Mutter.

Wie es Amy geht, möchte sie wissen, und ob sie weiter ihre Schulaufgaben macht. Das können wir ihr versichern: Alle Kinder im „Schechem-Home“ setzen ihre Schulbildung fort. Und dann drückt sie Jayson, dem Familien-Sozialarbeiter, ein Kleid in die Hand, etwas verlegen erklärt sie, dass sie es „Second-Hand“ gekauft hat – „für Amy zum Geburtstag“. Den hatten wir gestern in der Schechem-Familie mit einem leckeren Mittagessen gefeiert; 15 Jahre ist sie jetzt alt.

Im Juni kam Amy das erste Mal zu Schechem. Sie wurde, wie alle anderen Kinder auch, von der Polizei gebracht. Denn nach intensiver Forschung von International Justice Mission und den lokalen Behörden in dieser Region der Philippinen war Amy als Opfer von OSEC (sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet) erkannt worden. Die Sicherheitskräfte befreiten sie und ein weiteres Mädchen aus dieser Situation und brachten sie zu Schechem. Nach zwei Wochen liefen die Kinder davon und kamen nach Hause, aber die Mutter hatte Angst und informierte die Behörden. So kam Amy ins Schechem-Home zurück.

Die letzten Monate waren nicht einfach. Das Schechem-Home ist ein „Assessment Center“, ein Ort, an dem Kinder, die aus OSEC-Situationen befreit wurden, über mehrere Monate hinweg intensiv psychotherapeutisch und medizinisch betreut werden. Ziel ist, dass die Kinder Fertigkeiten erlernen, mit ihrem Trauma und den Erfahrungen umzugehen, sodass langfristig Heilung stattfinden kann. Gleichzeitig prüfen die Sozialarbeiter, wann und ob die Kinder bei anderen Familienmitgliedern reintegriert werden können oder erst einmal in eine längerfristige Einrichtung wechseln sollten.

Diese Entscheidung fällt nicht leicht. In den meisten Fällen sind die Eltern – vornehmlich die Mütter – die Schuldigen, und die Sicherheit der Kinder kann nicht gewährleistet werden. Und manchmal haben die Familien einfach nicht die Mittel, um für ihre Kinder zu sorgen. Das ist auch der Fall bei Amy. Ihre Mutter war in dem Verbrechen nicht involviert. Aber sie hat kein Einkommen – und weniger als 20 Euro pro Monat erhält sie vom Staat für sich und die beiden Kinder. Ihr Mann ist im Gefängnis wegen Drogenmissbrauchs. Derzeit unterstützt die Großmutter ihre Tochter und deren Kinder; sie arbeitet als Straßenfegerin bei der Kommune.

Deshalb wird Amy in den nächsten Tagen vorerst in ein Kinderheim umziehen, in dem sie ganzheitlich gefördert wird und auch ihre Schulbildung fortsetzen kann. Dass sie überhaupt inzwischen bereit ist für diesen Schritt ist der liebevollen Fürsorge des Schechem-Personals zu verdanken.

„Als Amy zu uns kam, war sie extrem traumatisiert“, erinnert sich Analyn, die Direktorin von Schechem. „Sie hat viel Schlimmes erlebt – nicht nur ihre eigene ‚Befreiung‘ von der Polizei, sondern sie musste auch mit anschauen, wie ihr Vater verhaftet wurde, und hat viel Gewalt in ihrer Familie mitbekommen. Am Anfang hat sie ständig geweint und Wutausbrüche bekommen. Sie war einfach völlig durcheinander. Aber mit der Zeit hat sie gelernt, mit ihrer Wut und ihrer Traurigkeit umzugehen. Sie schreibt viel in ihr Tagebuch. Sie weiß jetzt, was sie tun kann, um für ihr emotionales Gleichgewicht zu sorgen. Natürlich kann solch ein Trauma in nur wenigen Monaten nicht völlig heilen. Aber Amy steht ihren Gefühlen nicht mehr hilflos gegenüber – sie hat die nötigen ‚Fertigkeiten‘ erlernt, um damit umzugehen. Und sie möchte jetzt auch unbedingt einen guten Schulabschluss machen.“

Das Besondere an Schechem ist: Es ist nicht nur ein „Assessment Center“, sondern ein Zuhause, wie eine große Familie, in der sich alle um einander kümmern. Und das hat mindestens so heilende Wirkung wie die vielen Therapiestunden beim Psychologen und den Sozialarbeitern. Auch für Amy hat es einen großen Unterschied gemacht.

Zwar ist sie immer noch eher zurückhaltend. Manchmal sitzt sie etwas abseits, und auf ihrem Gesicht liegt ein Schatten, ein Schatten der Erinnerung, den alle Therapiestunden nicht wegwischen können. Dann setzt sie sich auch mal mit Grace, der Sozialarbeiterin im Heim, in einer Ecke des Grundstücks zusammen und hat ein langes, ernstes Gespräch.

Aber dann ist sie auch wieder mittendrin, beim Spielen und Basteln, beim Kochen und Waschen im Heim. Manchmal ertönt ihr Lachen, hell, fröhlich, unbeschwert. Oder sie kommt ganz unerwartet und gibt mir eine feste Umarmung, und dann lächelt sie, ein strahlendes Lächeln, ein Lächeln, das mir bekannt vorkommt: Es ist das Lächeln von Tala, ihrer Schwester.

 

Das Schechem-Home ist ein wichtiges Bindeglied in den einzelnen Entwicklungsschritten, die ein Kind durchlaufen muss, um aus einer OSEC-Situation zurück zu einem gesunden, sicheren und erfüllten Leben zu gelangen. Das Zentrum finanziert sich ausschließlich durch Spenden; für 2023 wird noch viel Unterstützung benötigt. Wenn Sie das Heim darin unterstützen möchten, Kindern wie Amy die notwendige Förderung und Geborgenheit zu geben, dann wählen Sie bitte bei der Online-Spende das Projekt „Jahresprojekt 2022 Schechem-Home (Philippinen)“.

 Dieser Bericht basiert auf einem Projektbesuch der internationalen Geschäftsführerin im Dezember 2022. Die Namen der Kinder wurden zum Schutz der Privatsphäre geändert (*).

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