Wir brechen früh auf; der morgendliche Nebel hängt noch in Schwaden über dem flachen Land. Von Jessore geht es südwestlich nach Satkhira, dem letzten Staat vor der indischen Grenze. Stundenlang rumpeln wir vorbei an Reisfeldern bis zum Horizont, Papayaplantagen, kleinen Dörfern, Fischerbooten.
In Satkhira angekommen werden wir erst mal im Schulungszentrum mit einer Tasse Kaffee begrüßt. Vor 3,5 Jahren wurde es eingeweiht; ein Stein im Hof erinnert daran: “unterstützt durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Helping Hands, Deutschland”. Das Schulungszentrum in Satkhira ist das dritte dieser Art in Bangladesch, das mit Geldern des BMZ errichtet wurde; zurzeit wird ein weiteres in Srimongol im Nordosten des Landes gebaut.
Vom Zentrum aus geht es noch fünf Minuten weiter zu einem kleinen Gebäude, das Bangladesh Nazarene Mission (BNM), Helping Hands‘ örtlicher Partner, zur Verfügung gestellt hat. Zwanzig Frauen warten dort auf uns; mehrere halten Kinder auf dem Schoß. Es ist heiß unter dem Blechdach und ich frage mich, wie lange die Frauen bereits warten.
Verärgert sind sie jedenfalls nicht: Es geht sogleich los mit fröhlichem Geplauder. Milton, mein einheimischer Kollege, und ich setzen uns in den Kreis der Frauen auf den Boden. Nach ein paar Minuten Small Talk und viel Lachen stellt Milton mich vor; wir werden mit Blumen begrüßt. Eine Frau reicht mir ein kleines Körbchen, gefüllt mit leuchtend roten Blüten. Das Körbchen hat sie selbstgemacht. Seit sie in ihrer Selbsthilfegruppe einen Kredit erhalten hat, führt sie ihr eigenes kleines Körbeflechtunternehmen. Auf einem Zettelchen am Korb hat sie in sauberer Schrift ihren Namen und Ort verzeichnet. Ob sie das vor ein paar Jahren schon gekonnt hätte?
“Ich bin hier, um von euch zu lernen”, erkläre ich, nachdem ich mich bedankt habe. “Bei mir zuhause gibt es solche Gruppen nicht. Darum möchte ich eine Menge von euch lernen!” Die Zuhörer nicken zustimmend; Lernen ist wichtig, das wissen sie selbst.
Die Frauen, die sich in dieser Hütte treffen, formen eine sogenannte „Cluster Level Association“, eine Gruppe, in die zehn Selbsthilfegruppen jeweils zwei Abgeordnete entsandt haben. Die CLA ist für eine Reihe von organisatorischen Aufgaben verantwortlich und wird maßgeblich an der Weiterführung des Projekts beteiligt sein, wenn BNM die Leitung in örtliche Hände übergibt.
Seit fünf Monaten besteht diese CLA. Zurzeit treffen die Frauen sich einmal pro Monat, “aber wir überlegen, ob wir uns nicht besser zweimal pro Monat treffen sollten”, erklären sie. Denn so eine CLA hat viel zu tun: Einige Poster an der Wand bestätigen das. Sie sind dicht beschrieben mit monatlichen Aktionsplänen, Listen der Aktivitäten der letzten Monate, Verzeichnisse der Selbsthilfegruppen und Einkommensprojekte. Diese CLA hat bereits von sich aus zwei weitere Selbsthilfegruppen begonnen. Demnächst wollen sie als Gruppe ein kleines Unternehmen gründen, um finanziell unabhängig zu sein.
Was sie denn alles so als CLA machen, möchte ich wissen.
Eifrig beginnen die Frauen zu erzählen: vom Sparen in ihren Selbsthilfegruppen, von Fischzucht und Handarbeitsbetrieben, die sie mit Krediten aus den Selbsthilfegruppen begannen und die ihnen nun ein regelmäßiges Einkommen ermöglichen, von ihren Kindern, die jetzt alle zur Schule gehen, übers Lesen und Schreiben, das inzwischen alle Frauen in der Gruppe beherrschen, von ihren neuen Gemüsegärten, die auch ermöglichen, dass sie ihren Kindern nahrhafte Mahlzeiten zubereiten können, und von neuerworbenem Wissen über Hygiene und Sanitäreinrichtungen.
“Was macht ihr denn mit eurem Abfall?”, frage ich, weil ich Deutsche bin, und weil in Bangladesch die Straßen und Felder noch immer von weggeworfenem Müll gesäumt sind. “Den nehmen wir natürlich mit nach Hause und werfen ihn in unsere Mülleimer!”, kommt die fast etwas empörte Antwort.
Sie sind anders, diese Frauen, anders als die vielen scheuen, zurückhaltenden Frauen, die mir in Bangladesch sonst begegnen. Man merkt es, sobald man den Raum betritt: Fröhlicher sind sie, ausgelassener, selbstbewusster. Wenn Milton für mich übersetzt, fragen sie nach: was er denn da gerade zu mir gesagt habe. Sie sind nicht schüchtern; sie wissen, was sie wollen.
Fast ein wenig überflüssig kommt mir die Frage vor, die ich als nächstes stelle: Ob sie denn in ihrem Dorf schon einen Unterschied bemerken können? “Aber natürlich!” ist die lebhafte Antwort. Nicht nur, dass jetzt sämtliche Familien ihre Kinder zur Schule schicken—sogar die behinderten Kinder, was hier gar nicht selbstverständlich ist—und dass jeder einzelne Haushalt einen Gemüsegarten hat.
“Wir Frauen sind jetzt vereint”, erklären sie. “Früher waren wir schwach und machtlos. Wir waren eingeschüchtert und haben uns vor den Männern verbeugt, haben unseren Kopf bedeckt.” Irene, die Vorsitzende der CLA, zieht kurz das Ende ihres Saris über den gebeugten Kopf, dann lässt sie den Stoff wieder fallen und schaut auf.
“Aber das tun wir jetzt nicht mehr! Jetzt haben wir Mut. Wir sind nicht mehr schüchtern. Wir wissen, was unsere Rechte sind, und wie wir das kommunizieren können—zuhause, aber auch bei der örtlichen Verwaltung und bei anderen Organisationen. In unserem Dorf haben wir die Kinderheirat abgeschafft; und die jungen Männer trauen sich nicht mehr, die Mädels zu ärgern!”
Was ihre Ehemänner denn davon halten, frage ich. Naja, heißt es, anfangs waren wohl nicht alle so begeistert. “Aber jetzt sind sie alle damit einverstanden und lassen uns tun, was nötig ist. Keiner macht mehr Probleme.” Milton lacht, nachdem er das für mich übersetzt hat, und fügt hinzu: “Das kannst du selbst sehen: Wir sitzen hier jetzt schon zwei Stunden und es ist längst Zeit fürs Mittagessen—aber keiner der Männer ist aufgetaucht, um sich zu beschweren, dass das Essen noch nicht fertig ist!”
Zum Abschluss bieten sie mir noch Kokosnusswasser an, direkt aus der Nuss. “Ich habe eine Menge gelernt!”, versichere ich und versuche deutlich zu machen, wie beeindruckt ich bin von allem, was ich gehört habe. “Ich wünsche euch, dass ihr all eure erwähnten Pläne und Träume umsetzen könnt!”
Daran habe ich keinen Zweifel.
© 2013 Dorothea Gschwandtner/Helping Hands e.V. Bitte diesen Bericht (auch nicht auszugsweise) nicht ohne schriftliche Genehmigung weiterverwenden.